Ein Interview mit Regisseur Kevin Kopacka zu seinem Kurzfilm HADES

4. Februar 2016

Eine junge Frau erwacht in einer albtraumartigen Kulisse. Sie streift durch endlose leere Korridore und seltsame Räume und langsam Stück für Stück erinnert sie sich an etwas. Nach und nach wird klar: jedes verlorene Zimmer und jeder dunkle Flur steht für einen der fünf Flüsse des Hades. Wohin kann diese Reise führen, wenn nicht direkt in das Herz der Unterwelt? Oder steckt vielleicht noch etwas anderes hinter der Geschichte?

Vielleicht erinnert ihr euch, dass wir vor einiger Zeit zwei sehr vielversprechende Kurzfilm-Trailer gepostet haben. Endlich hatten wir die Gelegenheit, uns den dazugehörigen Film einmal anzusehen und sind begeistert. Der Horror-Kurzfilm „HADES“ des Regisseurs Kevin Kopacka spielt auf experimentelle Weise mit seiner Story, die ursprünglich vom Journalistikstudenten H.K. DeWitt verfasst wurde. Der Horrorfilm, in dem nicht ein einziges Wort gesprochen wird, wurde bereits auf dem Cannes-Filmfestival, sowie einigen anderen internationalen Festivals gezeigt. Wer den Film in Deutschland noch sehen möchte, kann dies auf der Boddinale (11.2.2016) und der Genrenale (17.2.2016) in Berlin, sowie bei den Independent Days in Karlsruhe (30.3 – 03.04.2016) noch nachholen.

 

 

Der kurze Film von etwa 15 min Laufzeit aus dem Jahr 2015 stellt einen surrealen Trip durch die persönliche Hölle der Protagonistin dar. Der experimentelle Ansatz des Filmes in flirrenden Farben und körnigem Super-8-Film lässt den Zuschauer mit der Frau namens „M“ (gespielt von Anna Heidegger) mitfühlen, spielt mit dessen Sehgewohnheiten und nutzt das Horror-Genre perfekt um eine beängstigende und beklemmende Stimmung zu erzeugen und die Abgründe dessen zu erforschen, was eine Beziehung aus den Menschen machen kann. Aber genug der Worte, lassen wir den Regisseur selbst sprechen:

 

Warum glaubst Du, funktioniert der Film ohne Worte besser, als mit?

In der ursprünglichen Fassung des Drehbuchs gab es noch Flashbacks mit Dialogen zwischen den beiden Liebhabern. Am Ende fand ich aber, dass das Gesagte nicht relevant ist. Ich finde sowieso Dialoge – gerade bei deutschen Filmen – manchmal etwas unnatürlich.
Dass sie nicht spricht – oder vielleicht gar nicht sprechen kann, gleicht einer gewissen Hilflosigkeit, die man aus Träumen kennt. Anna hat es auch sehr schön geschafft, durch subtilen Ausdruck alle nötigen Emotionen auszudrücken. Und das Beste daran: ein Filmdreh ohne Ton ist auch viel entspannter.

 

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Was an der Buchvorlage hat dich besonders überzeugt, dass Du diesen Film umsetzen wolltest?

H.K. DeWitt, der Autor ist auch ein guter Freund von mir und war auch bei allen Drehtagen mit am Set. Wir hatten vor Jahren schon darüber gesprochen, dass ich diese Geschichte verfilme. Ich hab’s dann unter der Voraussetzung gemacht, dass ich es komplett in meinem Stil machen kann. Die eigentliche Kurzgeschichte ist teilweise ganz anders als der Film – es gibt beispielsweise keinen mythologischen Aspekt, dafür sind andere Punkte in der Geschichte relevanter, die im Film nicht vorkommen.

 

Horror im Alltag? Der Film hätte genauso gut als Drama umgesetzt werden können, der Schwenk ins Horror-Genre ruft jedoch eine seltsame Albtraumatmosphäre hervor und ähnlich wie bei den frühen expressionistischen Filmen aus Deutschland hat man ab und zu das Gefühl, man betrachtet Dinge, die man nicht sehen sollte, dieses Gefühl wird noch durch den Einsatz von Super 8 Szenen unterstrichen. Wieso hast Du den Film gerade im Horror-Genre angesiedelt und was hat es mit den Super-8-Videos auf sich?

Ich bin wortwörtlich ein Horror Fan, seitdem ich denken kann (damals sehr zur Beunruhigung meiner Eltern), daher sind alle meine Projekte stark davon geprägt. Ich mag es sehr, wenn man die Essenz von verschiedenen Genres mischt, ohne dass es klar einem zugeordnet werden kann. Im Prinzip werden in Horrorfilmen oft Aspekte menschlicher Furcht symbolisiert – ob in Form einer Allegorie oder nur psychologisch. Die Evolution der Horror Filme läuft oft parallel zur jeweiligen Entwicklung der Gesellschaft, politischer Lage etc.
Eine ernsthafte Beziehung zu führen trägt ebenso viele Ängste mit sich mit. Die Angst, den Partner zu verlieren oder nicht gut genug zu sein – andererseits auch die Klaustrophobie – das Gefühl in einer Beziehung gefangen zu sein – diese Endgültigkeit. Ebenso das, was eine Beziehung aus einem macht, die Verletzbarkeit und auch der Hass – die Seiten die man an sich selber entdeckt, die einen erschrecken. Ich denke, vielen von uns sind einige dieser Ängste bekannt – vielleicht sind sie auch für uns als Generation der „Selbstfinder“ noch stärker ausgeprägt.

Ich freue mich über den „Deutschen Expressionismus“-Vergleich. Das war tatsächlich auch eine Inspiration. Die Idee, dass die Außenwelt das Innere widerspiegeln kann.
Die Super-8-Aufnahmen lagen mir auch sehr am Herzen, weil ich zum ersten Mal damit gearbeitet habe. Inzwischen ist man es nicht mehr gewohnt so etwas zu sehen, daher hat es immer eine etwas unheimliche Konnotation – ich persönlich mag es auch, weil es in dem Film eine Art subjektive Erinnerung erzeugt. Die Anfangscredits soll auch ein bisschen wie ein verlorener Film der 70er wirken.

 

Die besondere Farbgebung lässt es schon vermuten, im Hintergrund steht ein Plakat von „Shining“, inwieweit hast Du dich von Klassikern wie zum Beispiel „Suspiria“ inspirieren lassen?

Das „Shining“ Poster gehört H.K DeWitt – ich hatte beim Dreh gar nicht so drüber nachgedacht – doch lustigerweise sprechen mich viele drauf an. Ist natürlich ein super Film, aber war gar nicht so meine Intention eine bewusste Hommage darzustellen. „Suspiria“ ist natürlich treffender. Generell ist der Film (neben dem besagten Expressionismus) sehr von europäischen Genre-Filmen der 70er geprägt. Darunter großteils natürlich die Meister: Dario Argento, Lucio Fulci, Mario Bava, Lamberto Bava, Michele Soavi, Jean Rollin etc. Diese Art der Filme war oft sehr atmosphärisch, traumhaft und künstlerisch inszeniert.

 

 

Welche Rolle spielt der Soundtrack? Sogar das Liebeslied am Ende klingt irgendwie gruselig und düster. Was stellt für dich einen gelungen Soundtrack dar?

Da der Film keine Dialoge hat, ist die Soundkulisse natürlich sehr wichtig. Ich habe die meiste Musik direkt für die jeweiligen Szenen produziert, sodass jede Szene zusätzlich eine eigene Stimmung bekommt. Ich hatte anfangs ein bisschen Angst, dass die Musik die Szenen zu dominant beherrschen wird, aber ich denke, dass es eine gute Symbiose zwischen Bild und Ton geworden ist. Das Cover von „Be my Baby“ hatte ich für den Film neu aufgenommen, weil ich immer fand, dass der Text etwas leicht Verstörendes hat – was in der fröhlichen Originalversion der Ronettes nie so auffällt.
Ich finde Soundtracks prinzipiell gelungen, wenn sie innovativ sind und zur Stimmung einer Szene beitragen – oder sogar antithetisch wirken (anstatt, dass sie Stimmung erst durch die Musik entsteht).

 

Die vielen Anspielungen an griechische Mythologie und die Überquerung der verschiedenen Flüsse der Unterwelt in Richtung Hölle lassen Vergleiche in Richtung von Dantes Inferno und Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ zu. Würde Sartres Satz „die Hölle, das sind die anderen“ auf den Film passen?

In gewisser Weise passt Sartres Stück gut in die Idee des Films – andererseits geht es auch um die Angst vor sich selbst. Die Erkenntnis, dass man womöglich selbst einer der „Anderen“ ist, der für seine Mitmenschen eine Hölle erzeugt.
Die Idee der Hölle fand ich schon immer interessant. Es gibt viele verschiedene Interpretationen, wie „unendliche Qualen“ aussehen könnten. Ist die Bestrafung rein physischer Schmerz oder doch eher psychischer? Und inwiefern kann die Hölle nur existieren, wenn man daran glaubt? Wenn eine Person sich einbildet, in der Hölle zu sein und dort Qualen erleidet, macht es keinen Unterschied, ob sie real sind oder nicht.

 

Die Protagonistin schaut mehrfach auf ihr Handy und benutzt später im Film ein Smartphone als Taschenlampe. Welche Rolle spielt Technologie im Film und welche Rolle in deiner eigenen Umwelt?

Eines der ersten Bilder, die ich für den Film hatte, war eine Frau in einem weißen Nachthemd, die mit einem Smartphone als Taschenlampe durch einen dunklen Korridor läuft. In frühen Gothic-Horror-Zeiten trug die Frau im Nachthemd noch einen Kerzenständer, doch die Zeiten ändern sich. Die ursprüngliche Geschichte von H.K. DeWitt heißt „Statusbezogen“ und wirft einen sehr kritischen Blick auf Social-Media Konventionen und wie das eine Beziehung beeinflusst. Für mich selber ist der technologische Aspekt des Films eher neutral zu sehen. Es ist eben die logische Entwicklung unserer Generation. Ein paar kleine Spielereien gibt es aber im Film. Die Symbole, die kurz auftauchen, sind eine Mischung aus Mythologie und fiktiven Apps. Auch ein paar der Geräusche im Film sind eigentlich bearbeitete App-Geräusche.

Für mich selber spielt Technologie eine genauso relevante Rolle wie für die meisten Menschen. Situationen, wie ein Raum voller Leute, die alle schweigend auf ihre Smartphones starren, sind inzwischen so normal geworden. Das eigentlich Beängstigende: es ist ein natürlicher Prozess, daher weiß niemand, in welche Richtung wir uns weiter entwickeln werden.

 

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Ein paar Eindrücke: Wie war es, den Film international vorzustellen und dabei auch wichtige Filmfestivals wie „Cannes“ zu besuchen?

Einen Film zu promoten ist oft sehr frustrierend, daher freue ich mich sehr darüber, dass der Film bereits ein paar internationale Screenings hinter sich hatte. Zu machen Screenings konnte ich leider nicht kommen, aber ich versuche sofern möglich, immer anwesend zu sein. Zum Cannes Festival zu fliegen war natürlich sehr aufregend. Das Festival selber ist schwer greifbar – es ist spannend, man trifft viele Leute, aber alles ist sehr oberflächlich und natürlich eine reine Networking Geschichte.

 

Was waren die häufigsten Reaktionen auf den Film und decken sie sich mit dem, was Du mit dem Film hervorrufen wolltest?

Ich bin selbst sehr positiv überrascht, dass der Film meist so aufgefasst wird, wie ich es mir erhofft habe. Man weiß oft nicht, ob die Vorstellung, die man selbst hat, auch für den Zuschauer greifbar ist. Ich denke, das Gute an dem Film ist, dass er auch empirisch wirkt. Selbst wenn man den Plot nicht versteht, ist es ein bisschen wie ein kleiner Trip, bei dem man sich mitreißen lassen kann.

 

Wann ist Film Kunst? Wie würdest Du Filmkunst für dich definieren?

Ich komme ursprünglich aus dem Kunstbereich, daher ist es immer eine interessante Frage. Es gibt zwar klassische Kunstfilme, aber bei narrativen ist es schwierig. Für mich ist alles Kunst, was eine eigenständige Aura erschaffen kann. Grob könnte man sagen, dass Filmkunst auf mehreren Ebenen arbeitet, eine abstrakte Subtilität hat und gewisse Emotionen erwecken kann. Aber wie immer bei der Kunst, hängt das von der Intention des Regisseurs und der persönlichen Auffassung des Zuschauers ab, ob ein Film Kunst ist oder nicht.

 

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Mich persönlich hat der Film sowohl von der Stimmung als auch vom Soundtrack her an den Horrorfilm-Hit „It Follows“ von 2015 erinnert. Hast Du den Film gesehen und wenn ja, wie hat er dir gefallen?

„It Follows“ ist ein sehr gelungener Film. Ich mag v.a. den Aspekt, dass er zeitlich gesehen eine gewisse Ambivalenz zwischen 70/80er und Futurismus erzeugt. Der Carpenter-esque Soundtrack ist auch sozusagen eine Retro-Modernisierung. Ich bin aber etwas überrascht, dass der Film von allen Seiten als „Retter des Horror Genres“ angepriesen wird. Da gab es andere Filme dieses Jahr, die ich wesentlich innovativer fand.

Vielen Dank für das Interview!

 

Wie bereits erwähnt, besteht zurzeit noch die Möglichkeit, sich den Film auf seiner Festivaltour anzusehen. Hier noch einmal die Daten:

Berlin:
Boddinale (11.2.2016
Genrenale (17.2.2016)

Karlsruhe:
Independent Days in (30.3 – 03.04.2016)

Sollte der Film im Anschluss online verfügbar sein, werden wir aber auf jeden Fall noch einmal darauf hinweisen.

 

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